Gier

Gier

Durch die Anregung einer Bekannten, habe ich mich einmal intensiver mit dem Wort „Gier“ beschäftigt. Ich fand zuerst nur die Darstellungen der Bedeutung von Gier, wie sie auch die Kirche darstellt. Irgendwie hatte ich jedoch das Gefühl, dass hinter diesem Wort wesentlich mehr steckt.

Kaum ein Wort hat eine solch starke Energie wie gerade dieses Wort. Deshalb bin ich noch viel tiefer in diese Materie getaucht, als ich es bei anderen Worten gemacht habe – dort findet man meist sehr schnell die ursprüngliche Bedeutung. Ich ging einmal ganz andere Wege bei meinem Forschen nach den Wurzeln dieses Wortes, als ich es sonst mache – eben weil dieses Wort, schon seit es Religionen gibt, als etwas äußerst Schlimmes dargestellt wird. Was ich dabei gefunden habe, hat mir dann fast den Atem verschlagen.
Ich ging dieses mal rein intuitiv vor und nicht nach logischen Gesichtspunkten. Dabei stieß ich auf das hebräische und auch aramäische Wort „næphæsch“. Das Aramäische ist der uralten wedischen Sprache, die vor der Sprachverwirrung nach dem Turmbau zu Babel auf der gesamten Erde gesprochen wurde, sehr ähnlich.

Ich habe dann weiter nach „næphæsch“ geforscht und fand in einem Artikel von Dr. Joerg Sieger zum Thema „Der Mensch und seine Lebenskraft“ folgenden Aussagen:

Bereits gesehen haben wir, dass der hebräische Ausdruck für „Lebenskraft“ „næphæsch“ das lebensspende „Element“ im Menschen und auch im Tier bezeichnet. Dieser Ausdruck wird zwar meistens mit dem deutschen Begriff „Seele“ übersetzt, er entspricht aber in den seltensten Fällen dem, was wir unter „Seele“ oder – der griechische Ausdruck für „Geistseele“ – „psychæ“ verstehen.

Dass das schon vom Wort her nicht sein kann, sieht man sofort, wenn man sich die ursprüngliche Wortbedeutung von „næphæsch“ anschaut. Der Begriff „næphæsch“ hat ursprünglich absolut nichts mit Geist oder etwas Geistigem zu tun.

Im Psalm 107 kann man die ursprüngliche Wortbedeutung noch ablesen. Dort heißt es, wenn man wörtlich übersetzt, im Vers 5:

„Hungrige, auch Durstende, sie verschmachten an ihrer „næphæsch“.“ (Ps 107,5)

Und im Vers 9:

„Denn er hat die lechzende „næphæsch“ gestillt, und die hungernde „næphæsch“ mit Gut erfüllt.“ (Ps 107,9)

Hier ist noch deutlich zu spüren, dass der hebräische Ausdruck für „Lebenskraft“, „næphæsch“ anfänglich einmal die „Kehle“ bedeutete. Im Psalm 107 schwingt diese Bedeutung noch klar mit. Dem Hungernden wird die „næphæsch“ mit Gutem angefüllt, so wie man dem Verhungernden eben etwas in die Kehle stopft.

Von daher ist auch verständlich, dass der hebräische – aramäische – Ausdruck für Lebenskraft „næphæsch“ mit „Gier“ gleichzusetzen ist.

Und weil dem Menschen, dem man die Kehle zudrückt die Luft wegbleibt, deshalb rückt der Terminus – der hebräische Ausdruck für „Lebenskraft“ – „næphæsch“ im Hebräischen dann immer stärker in den Bedeutungshorizont von „Atem“. Weil der Atem aber lebensnotwendig ist, erfährt der Begriff „næphæsch“ letztlich die Bedeutungserweiterung in Richtung „Lebenselement“, bis hin zum Begriff „Leben“ überhaupt.

Da war ich erst einmal Platt! Aber wenn man sich klarmacht, wozu die Religionen geschaffen wurden, dann müsste es auch klar sein, dass wir unserer Lebenskraft – unserer Gier nach Leben – beraubt werden sollten. „Gier“ musste zu den Todsünden gezählt werden.

Wenn man dann weiter nach „begierig“ sucht, findest man ebenfalls ganz schnell den Vergleich mit der dürstenden Kehle:
begierig: Adjektiv – von großem Verlangen nach etwas erfüllt; voll Begierde, durstig
Synonyme zu durstig: Durst habend, mit ausgetrockneter Kehle begierig, erpicht, gierig, versessen; (gehoben) hungrig nach…

Das, was heute mit Gier bezeichnet wird, ist wohl besser mit dem Wort Habsucht beschrieben, als mit der ursprünglichen Bedeutung von Gier, denn Habsucht bezeichnet die Sucht nach immer mehr.

In Ursprungszeiten definierte sich der Mensch ja nicht durch das, was er hat, sondern durch das, was er ist. Und da steht Gier für die Lust auf mehr – für die Lust auf pures Leben. Die Worte „Habsucht“ und die ursprüngliche Bedeutung von „Gier“ unterscheiden sich nämlich wie „Haben“ und „Sein“!

Schöpfer haben Lust auf pures Leben – sie sind demnach gierig.
Schöpfer möchten ihre Erkenntnisse erweitern – sie sind neugierig.
Schöpfer möchten ihre Kreativität ausleben – sie sind begierig die Welt zu gestalten.

Übrigens hatte Neugier für mich nie eine negative Schwingung. Ohne Neugier würde der Mensch überhaupt nichts entdecken. Er würde kein Tier und keine Pflanze beobachten.

Zum Thema Gier sagte zu mir eine Freundin: Gier hat von der Schwingung her für mich eine unglaubliche, riesengroße Kraft! Wenn ich mich jetzt, nachdem ich das weiß, auf die Gier einlasse, dann spüre ich wie sich mein Körper, meine Seele einfach nur vollsaugen will mit Leben.

Marie-Luise sagte dazu:

Gier mit Maßlosigkeit gleichzusetzen wurde uns anerzogen. Wer gierig ist, ist maßlos. Das heißt, wir haben die Vorstellung, dass einem gierigen Menschen der Geifer aus dem Mund läuft, er beginnt zu sabbern, es wird unappetitlich. So haben wir das Wort Gier gelernt, immer mit einem erhobenen Zeigefinger im Hintergrund, ja unseren „Erziehern“ keine Schande zu machen, und uns angemessen und maßvoll zu verhalten.

Das Thema „Gier“ hat mich an ein Buch erinnert, das ich im Alter von 15 oder 16 Jahren einmal gelesen habe. Den Titel und den Autor weiß ich nicht mehr, aber der Inhalt hat bei mir damals so viele Fragen aufgeworfen, dass es mir im Gedächtnis blieb. Das Buch handelte von Zwillingen – zwei Jungen. Die Mutter beschrieb einen der Zwillinge so, dass er nach der Geburt, sofort beim ersten Anlegen gierig saugte, als wolle er das ganze materielle Leben einsaugen. Der zweite Zwilling war eher schwächlich und saugte auch nur schwach an der Brust. Der Erste genoss das Leben. Er war ständig draußen in der Natur, sehr eigenwillig und machte, was er wollte. Der Zweite war ein stilles und braves Kind, der der Mutter half – er machte alles, was die Eltern wollten. Natürlich wurde im Laufe des Buches der Zweite als der Gute dargestellt und der Erste als der Böse.
Ich konnte dem Inhalt des Buches damals überhaupt nicht folgen. Mir gefiel von Anfang an der Erste wesentlich besser und in meinem Buch wäre er ein großer Held geworden. Damals schon überlegte ich, warum der Autor den Zwilling, der das Leben aus vollen Zügen genoss, als den schlechten darstellte. Heute, nachdem ich diese Welt besser kennen gelernt habe, ist es mir völlig klar. Die Zwillinge standen im Grunde als Synonym für die Menschen. Die äußerst vitalen, individuellen und starken Persönlichkeiten, die schon als Säuglinge an der Mutterbrust gierig saugen, als wollen sie das ganze Leben einsaugen, sind die Menschen, die das Kollektiv nicht gebrauchen kann, deshalb muss das „schlecht“ sein. Die Schwächlichen jedoch, die still und brav alles das machen, was man von ihnen verlangt, das sind die „Guten“, weil sie sich am Besten unterordnen können.